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Gutachten zum historischen Stellenwert des Kanzlei- und Residenzgebäudes

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Eingang der Residenz
Eingang der Residenz © Deutsche Botschaft beim Heiligen Stuhl

Mit dem von Alexander Freiherr von Branca entworfenen Residenzgebäude der deutschen Botschaft am Heiligen Stuhl verfügt die Bundesrepublik in Rom über einen herausragenden Bau, der unter den vielen internationalen Botschaftsgebäuden der Ewigen Stadt eine singuläre Rolle einnimmt. Es handelt sich praktisch bei dem 1979-1984 ausgeführten Bau um den einzigen modernen Botschaftsbau in der Ewigen Stadt. Normalerweise residieren die Botschafter in Rom in alten Palästen oder Villen; so auch ehemals die deutschen, aber durch die Enteignungen nach dem 2. Weltkrieg ergab sich für die Bundesrepublik die Chance, ein zeitgenössischen Ensemble zu errichten.

Das Auswärtige Amt ist dafür zu beglückwünschen, dass es die Weitsicht und den Spürsinn hatte, den Entwurf dieses für Rom ungewöhnlichen Baus einem der profiliertesten deutschen Architekten der damaligen Zeit anzuvertrauen. Alexander von Branca hatte sich bereits mit zahlreichen Kirchenbauten und vor allem dem Entwurf für die Neue Pinakothek in München einen Namen gemacht. Seinen Kirchenbauten gab er häufig einen burgartigen Charakter. Für ihn, einen gläubigen Katholiken, sollte damit erfahrbar werden, was er als Essenz des Glaubens sah: Geborgenheit und Halt zu vermitteln.

Der hochgebildete und im Umgang mit dem historischen Kulturerbe sensible und erfahrene Architekt setzte sich für den Botschaftsbau in Rom mit mehreren Kriterien auseinander. Die antike römische Architektur mit ihrer Verwendung besonders schmaler gebrannter Ziegel ließ ihn zu diesem Baumaterial greifen, aus denen auch die unter Kaiser Aurelian 270 begonnene römische Stadtmauer besteht, auf die sich die großen Wandflächen des Baus beziehen. Die in der architektonischen Gestalt des Baus durch Türme und Kamine gesetzten vertikalen Betonungen erinnern an mittelalterliche Burgen. Von Branca wollte damit auch ausdrücklich auf die lange historische Beziehung zwischen Kaiser und Reich verweisen. Für ihn verkörperten die unter Kaiser Friedrich II. entstandenen Bauten mit ihrer „Klarheit und zurückhaltenden Monumentalität“ das Vorbild einer modernen Architektur von „klarer Einfachheit“.

Von Branca konzipierte den Bau als eine Abfolge unterschiedlicher Volumen, die nach außen durch große, geschlossene Wandflächen und wenige, gezielt gesetzte vertikale Akzente in Erscheinung treten. Schon im Eingangsbereich bricht von Branca das klare rechtwinklige Konzept von Horizontale und Vertikale durch die Einfügung halbkreisförmiger und runder Bauelemente: das beginnt mit dem Brunnen in der Einfahrt, setzt sich aber auch fort in Details wie der Überdachung des Eingangsportals, dem Lünettenfenster darüber, dem Gartenhalbrund vor dem Esszimmer – und den halbkreisförmigen Sesseln im Salon.

Es gehört zu den großen Stärken dieses Entwurfs, dass er die Grundformen des Baus auch in die Möblierung übersetzt und damit Bau und Einrichtung zu einer untrennbaren Einheit verschmilzt. 2

Branca übernimmt die Wandgliederung durch Ziegel noch für die Gestaltung der Eingangshalle, die mit ihrer halbrunden Wendeltreppe das Prinzip der vorhin erwähnten Brechung der rechten Winkel weiterführt und die Durchdringung von Außen-und Innenraum an dieser Stelle verdeutlicht . Zugleich leitet er mit den in Schwarz gehaltenen Türen, deren schlanke Höhe durch die beidseitige leicht gebrochene Einziehung des Türsturzes noch unterstrichen wird , zum Farbkonzept der Innenräume über, die aus einer Folge unterschiedlich hoher Räume bestehen, die sich mit großen Fensterfronten zum Garten hin öffnen. Die großen Wandflächen sind in Weiß gehalten, alle Türen und das Mobiliar sind aus schwarzem Holz, die Decken im Esszimmer und im kleinen Esszimmer von namhaften Künstlern bemalt, im Salon und in der Bibliothek aus grau gehaltenen Holz. In den beiden Esszimmern leitet eine Voute aus schwarzem Holz von der Wand zur Decke über und vermittelt damit den Übergang zu den bemalten Decken, die trotz der relativ niedrigen Raumhöhe durch diesen Kunstgriff leicht und schwebend erscheinen.

Die rechten Winkel des längsrechteckigen, zweistöckigen Salons werden durch die halbkreisförmigen Sessel mit creme-weißem Bezug gebrochen, deren Rückenlehne das Motiv des leicht eingekerbten Türsturzes aufweist und so Bau und Ausstattung miteinander in Bezug treten lässt; die ebenfalls von Von Branca entworfenen schwarzen Tische und Seitentische mit Glasplatten nehmen das rechtwinklige Schema wieder auf, aber mit großer Leichtigkeit und Transparenz. Sie wirken nicht wuchtig, sondern grazil – das gibt dem wie eine große Burghalle wirkenden Raum mit der hohen Balkendecke Eleganz und Wohnlichkeit.

Im großen Esszimmer sind Stühle und Sideboards von Von Branca auf die Form der Türen abgestimmt worden. Die Stühle mussten aus Sicherheitsgründen in leicht abgeänderter Form ersetzt werden, doch das Prinzip der Durchdringung von Bauelementen und Möblierung wurde beibehalten. Das gibt dem sehr langestreckten Raum große Harmonie und Ausgewogenheit. Besonders schön ist der Spiegeleffekt des Deckengemäldes von Hann Trier in der mittleren, lackierten Platte des ausziehbaren Tisches, dessen halbrunde Enden wieder das große Gesamtkonzept des Baus evozieren. Auch die Sideboards sind grazil und elegant.

Auch hier zeigt sich übrigens in der Wahl der Maler Hann Trier (Großes Esszimmer) und Peter Schubert (Eingangshalle und kleines Esszimmer) eine dankenswerte Bereitschaft des damaligen Auswärtigen Amtes, eine Ausstattung von höchster Qualität zu ermöglichen. Es gibt in Rom kein vergleichbares Beispiel. Die beiden Maler hatten mit ihren Deckenfresken im wiederaufgebauten Schloss Charlottenburg in Berlin große Anerkennung erfahren; Hann Trier gehörte zu den bekanntesten Malern der Zeit in Deutschland.

Auch die Möbel der Bibliothek wurden von Von Branca entworfen und variieren das bereits bekannte Schema.

Das ganz in Weiß gehaltene Kaminzimmer am Ende der Zimmerflucht setzt mit seiner großen Durchlichtung und der strahlenden Farbe einen Schlussakkord. Eine Bank aus weißem Marmor, mit creme-weißen Polstern leitet zum Kamin aus weißem Marmor über; eine verglaste Vitrine zwischen den Fenstern trägt zum hellen und leichten Charakter dieses Raumes bei, der in seiner Eleganz sicher zu den ungewöhnlichsten Innenräumen in Rom zählt.

Branca hat seine zurückhaltende, ganz auf Weiß, Schwarz und Grau basierende Farbgestaltung mit farbigen Akzenten durch die Deckenmalereien, antike Gobelins und schöne alte Möbel aufgelockert. Wie klug diese Farbwahl ist, wird sofort klar, wenn man sich die Kleidung von Mitgliedern der römischen Kurie in Erinnerung ruft, die ja die hauptsächlichen Besucher des Hauses darstellen. Die Soutanen sind in 3

Schwarz gehalten; doch je nach Rang mit violetten oder roten Paspeln versehen; dazu kommen die entsprechenden farbigen Scheitelkäppchen. Die Festtagstracht ist dann ganz in Violett bzw. Krebsrot bei Kardinälen – also ganz starke Farbakzente, die sich übrigens nebeneinander „beißen“. Brancas Innenausstattung gibt dieser Farbenpracht alle Möglichkeit der Entfaltung, ohne jede Konkurrenz und ohne jede farblich unschöne Überschneidung.

Branca ist mit dieser Durchdringung von Bau und Ausstattung eine Meisterleistung geglückt, zu der man das Auswärtige Amt nur beglückwünschen kann. Wie sehr dies in Rom geschätzt wird, zeigt, dass die Botschaft von der Stadt Rom auf die Liste derjenigen Bauten gesetzt wurde, die beim diesjährigen Tag des Denkmals zu besichtigen sind. Die deutsche Botschaft am Heiligen Stuhl steht damit in einer Reihe mit großen römischen Palästen.

Branca hat einen klaren, zurückhaltenden Bau entworfen; die gleichen Kriterien werden auch in der Ausstattung sichtbar. Für den Vatikan geht es nicht um Chic oder Protz, es geht um „Charakter, Würde, Größe“, wie Monsignore Kemper es formuliert hat, um Angemessenheit. Genau dies vermitteln Bau und Möblierung auf den Besucher – die deutsche Botschaft am Heiligen Stuhl ist ein Gesamtkunstwerk, das ein würdiger Ausdruck des Staates ist, den sie vertritt..

Alexander von Branca ist 2011 gestorben. „Welche Bauten Ihres Vaters werden in 100 Jahren besonders wichtig sein?“ wurde seine Tochter Alexandra Von Branca, die das Büro weiterführt , gefragt. Antwort: „Ich denke an die Museen, an die Botschaften in Madrid und für den Heiligen Stuhl in Rom – und an seine frühen Kirchen.“ Mehrere seiner Bauten stehen bereits unter Denkmalschutz.

Dieser Bau gehört zu seinen herausragendsten Leistungen und ist nach dem Urheberrecht sowohl in seiner Bausubstanz wie in der Ausstattung geschützt. Seine Erben können diesen Urheberschutz beantragen und müssen vor Veränderungen konsultiert werden.

Es sollte aber Stolz und Anliegen des Auswärtigen Amtes sein, dieses Kleinod zu pflegen und zu schützen

Prof. Dr. Elisabeth Kieven

Direktorin

Bibliotheca Hertziana –

Max Planck Institut für Kunstgeschichte, Rom

30. März 2012

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